Essay über den Sinn des Lebens

Teil 1


Seit einiger Zeit beschäftigt mich der Gedanke, was der Sinn des Lebens ist. Gibt es überhaupt einen Sinn? Oder anders gefragt: Was will man eigentlich im Leben erreichen?

So langsam biege ich auf die Zielgerade des Lebens. Das Ziel kommt in Sicht. Bisher war der Weg, sprich das Leben, immer das Ziel. Doch irgendwo am entfernten Horizont prangt das Zielbanner mit der Aufschrift: Ende. Man weiß nicht, wie lang man für diese Reststrecke noch braucht. Sind es Tage oder doch noch viele Jahre. Was macht man mit der verbliebenen Zeit? Weiter leben, als gäbe es kein morgen? Aber genau das ist das Problem. Irgendwann gibt es nur noch gestern und kein morgen mehr.

In dem einigen philosophischen Fach in der Schule, auch Religion genannt, kam der Lehrer eines Tages mit der kurzen und knappen Frage um die Ecke, was der Sinn des Lebens ist. Also was wünschten wir uns Schüler? Fast alle waren sich einig: Familie, Beruf und Vermögen. Das war dem Lehrer natürlich zu oberflächlich. Aber worauf wollte er hinaus? In meiner Erinnerung hab ich abgespeichert: Im Leben glücklich sein.

Doch bringt dieser Ansatz eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens? Ein ewiges Streben nach Glück? Ist dies nicht die gleiche Frage, gekleidet in andere Worte?

Also machen wir uns mal auf den Weg. Ausgehend von der kindlichen Naivität wünschten wir uns mit Familie, Beruf und Vermögen ein konventionelles Leben mit Erfolg in allen Bereichen. Erfolg! Ist dies ein Schlüsselwort, zumindest in meinem Leben. Ist das mein gesamtes Streben gewesen? Erfolg verleiht kurzfristig Glücksgefühle. Ob erfolgreiche Prüfungen und dann später Erfolg im Beruf, sind Momente, an die man lange, vielleicht sogar Jahrzehnte zurückdenkt. Passend dazu mein Beruf als Jurist. In keinem anderen Beruf sind Erfolg und Misserfolg so deutlich zu belegen, wie hier, und zwar vor Gericht. Man gewinnt oder verliert. Unentschieden sind selten, z. B. beim Vergleich. Der Erfolg ist also messbar, und zwar sehr deutlich. Es ist ein Wettkampf, dem man sich auf neuem immer wieder stellt. Bis zum Showdown in der Verhandlung ist alles offen. Aber das Essay über den Juristenberuf soll es hier nicht werden (das kommt noch). Vielmehr ist entscheidend, dass Erfolg süchtig macht. Je größer ein Erfolg, desto schneller braucht man den nächsten Kick, um noch einmal das Glücksgefühl zu empfinden. Es wird eine immer größer werdende Sucht. Also das kann es nicht sein.

Verlassen wir mal mich als Beispiel. Wieder zurück zur Schulzeit. Schule ist eine Zeit, in der viele unterschiedliche Kinder und damit Charaktere auf einander losgelassen werden. In kleinen, manchmal zu engen Klassenräumen werden sie zusammengepfercht und es gibt kein Entkommen vor den Klassenkameradinnen und Kameraden. Dort lernen wir dann das Streben nach Mobbing kennen, und zwar auch zu Zeiten, als es den Begriff noch nicht gab. Einige lernen es bis zur Perfektion. Ist auch hier wieder der Erfolg das Ziel? Wenn man doch auf anderen Gebieten wenig zu bieten hat, so kann man doch hier auch wahre Glücksgefühle verschaffen. Also nicht für den Gemobbten. Aber für einen selber. Was man dann schon mal in der Schule begonnen hat, kann dann im Berufsleben oder nunmehr heutzutage anonym im Internet fortgesetzt werden.

Welches Lebensziel verfolgt so ein Mobber? Erlangt er Glücksgefühle, wenn andere unglücklich sind? Saugt derjenige das Glück dann ab? Ist das eine Form eines anderen Wettkampfes? Der Mobber gewinnt immer - meint er zumindest. Wird Mobbing ebenfalls zur Sucht? Kann man dann irgendwann nicht mehr anders?

Nach meiner Meinung ist Mobbing weitergehend als das Streben nach Erfolg. Letztendlich ist es eine Form davon, Macht über andere auszuüben. Man meint, man dominiert eine andere Person. Man übt Druck aus, vernichtet diese Person ggf. oder meint es jedenfalls. Macht verdirbt den Charakter. Zumindest offenbart es den wahren Charakter einer Person. Mobbing also al eine andere Form der Macht. Macht hat man üblicherweise aufgrund seiner Position. Die wird einem dann verliehen. Aber wenn einem keiner irgendwelche Macht verleiht. Was macht man denn dann, wenn man gerne Macht hätte? Fängt man dann im Kleinen an? Sucht man sich dann einen Schwächeren? Also das scheint das Grundprinzip zu sein. Würde man sich einen Stärkeren suchen, dann ist ein Erfolg nur bedingt zu erwarten. Wer will schon beim Mobben zu viel Contra erleiden. Dann müsste man sich mehr, als einem lieb ist, anstrengen. Und selber gemobbt werden, ist für Mobber dann die doppelte Strafe: einmal hat man beim Mobben versagt und andererseits weiß dann ein Mobber, wie Mobbing sich anfühlt. Auch das ist sehr übel für ihn. Also bleibt es beim Lebensziel des Mobbers, sich möglichst wehrlose Opfer zu suchen. Den kann man dann so richtig einen mitgeben. Hallelujah!

Nah an das Lebensziel eines Mobbers kommt man beim „Dir mache ich das Leben aber schwer“-Typ. Dieser kann sich wie ein kleines Kind freuen, wenn man weiß, dass man soeben einen richtig verärgert hat. Das glaubt ihr nicht? Doch live von mir miterlebt. „Dem habe ich es jetzt aber so richtig gegeben“, sagte die Person und strahlte vor lauter Glücksseligkeit. Ähnlich wie beim Mobber lebt dieser Charakter davon, anderen das Unglück zu bringen. Der Ärger des anderen scheint den Ärgerer, wie ich den mal nennen möchte, aufzubauen. Letztendlich ist es eine Unterform des Mobbers, aber mit mehr Niveau. Wobei Niveau hier übertrieben ist. Muss hier auch schnell Nachschub kommen, damit das Gefühl anhält?

Die höchste Form der Glücksseligkeit hat man dann erreicht, wenn man tatsächlich Macht inne hat, die man missbrauchen kann. Aber Chefs und Regierungsmenschen lassen wir hier mal weg.

Ist also die Unterdrückung anderer durch Erfolg und Herabwürdigung das höchste Lebensziel.

Ich werde mal in den Spiegel schauen und mich selber fragen, ob es das ist, was ich will?

Könnte fortgesetzt werden ...


26.08.2023
Martin