Vor fast drei Jahren fing ich an, Comics zu lesen und habe nun schon einiges gesichtet.

Oft hatte ich den Eindruck, dass man aus dem Ganzen mehr herausholen könnte (selbst bei richtig guten Comics).
Meistens fand ich, die Hintergründe könnten mehr Details vertragen.
Mit der Zeit fiel mir auch auf, wie simpel doch teilweise Panels im Allgemeinen gestaltet sind.
Klar - man kann argumentieren, dass es verschiedene Arten von Comics gibt und viele absichtlich einfach gestaltet werden.
Aber vielleicht liegt das Problem ja (teilweise) woanders ...

Nachdem ich mich mit Filmen und dessen Gestaltung beschäftigte, kam mir noch etwas in den Sinn:
Comicpanels besitzen nur selten symbolischen Charakter, sondern sind sehr direkt. Ein Subtext ist die Ausnahme.
Dabei ist es möglich, mit Farben, Licht / Schatten, Bildkompositionen und anderen Mitteln mehr als nur eine Aktion darzustellen.
Es geht um Emotionen, Bildsprache und tiefere Symbolik.

Was für eine Ausnahme eine solche Herangegensweise ist, zeigen die Reaktionen zu den letzten Panels von Alan Moores 'The Killing Joke':
Kann mich erinnern, wie ich zum ersten Mal mitbekommen habe, wie die Leute ausgerastet sind (im positiven Sinne) ...
wie begeistert sie waren, dass Moore sich so viele Gedanken um die Aussagekraft der letzten Panels gemacht hat.
Ich habe mich damals, vor 2 Jahren, schon gefragt: "Ja, und? Sind dafür nicht Comicautoren da?"
Und irgendwie dachte ich immer, die Zeichner hätten auch eine "Mitschuld" an dem Minimalismus.
Bisher konnte ich mir nie erklären, warum so wenig aus den Seiten herausgeholt wird; warum die Kreativen das Medium nicht ganz ausschöpfen ...

... bis ich das erste Mal Comic-Skripte las. Besonders krass war ein offizielles 'Superman'-Teil, bei dem manche Panel-Beschreibungen nur "Superman ging durch den Flur" enthielten.
"Superman winkt". Sprechblase: "Hallo, Wendy!". Usw.

Auch bei anderen Skripten FEHLTEN DETAILS. Die Autoren gaben dem Zeichner so gut wie keinen Input.
Irgendwann hörte ich dann von einer der Faustregeln der Comicindustrie: "Gib dem Zeichner nur die nötigste Beschreibung und lass ihn kreativ sein".
Ich konnte es nicht fassen ...

Es lag (für mich) auf der Hand: In vielen Comics haben die Zeichner keine Ahnung, mit was sie die Panels füllen sollen. Woher auch? Nur der Autor kann ihnen diese Infos geben.
Vor einigen Tagen beschäftigte ich mich damit, wie gute Skripte formatiert sind. Ich stieß auf Fred van Lente. Er hat gute Tipps, aber auch seine Faustregel lautet:
"Eine Seite Skript ist eine Comicseite".
Nennt mich einen ahnungslosen Newbie oder jemanden, der keinen Plan vom Business hat.
Aber ... was soll der Schwachsinn?

Muss man sich bei solchen Richtlinien wundern, warum das Medium nicht voll ausgereizt wird?

Wie gesagt: Es gibt verschiedene Arten von Comics und für manche ist es angebracht, so minimal wie möglich zu sein.
Aber dem größten Teil hätte es gut getan, wenn das Skript ausführlicher gewesen wäre. Da bin ich mir sicher.

Alan Moores Beschreibungen für eine Comicseite umfasst manchmal 2-3 Skriptseiten. Ich habe verdammt lange an der 'Watchmen'-Gesamtausgabe gelesen,
weil es so viel zu entdecken gab. Auf vielen Seiten musste man aufpassen; genau hinsehen. Es gibt Spiele mit Licht und Schatten, die eine Bedeutung haben.
Farben sind nicht einfach nur Farben. Ausgefallene Perspektiven. Perfekte Kompositionen. Subtext, den man wahrscheinlich gar nicht komplett begreifen kann.
Über die Mono- und Dialoge brauchen wir gar nicht sprechen ...
Für mich das perfekte Beispiel, was theoretisch alles möglich ist. Ist es Zufall, dass 'Watchmen' zu den beliebtesten Comics aller Zeiten gehört?

Ein visuelleres Medium als das Comic gibt es nicht. Wir schauen uns "Standbilder" an und können uns dabei so viel Zeit für ein Panel nehmen wie wir wollen.
Wieso - um alles in der Welt - sollte ein Skript dann so "dünn" und Beschreibungen so spärlich sein? Dafür gibt es kaum Gründe, außer vielleicht die Zeit und die Lust der Autoren und Zeichner.
Warum existiert nicht die Faustregel: "Packe alles, dein ganzes Herzblut und deine ganze Vorstellungskraft in jedes Panel. Der Leser hat alle Zeit der Welt, dein Comic zu studieren ...
es auf sich einwirken zu lassen ... es zu interpretieren ... es zu inhalieren. Wenn du vier Seiten Skript für eine Comicseite brauchst - dann sei es so"!?

Ich beantworte die Frage im Threadtitel eindeutig mit einem Ja.
Und spätestens seit dem unglaublichen Erfolg von Alan Moore sollte klar sein: Für jeden lohnt es sich, wenn ein Skript bis zum Maximalen ausgereizt wird; wenn dieses wundervolle Medium voll erblühen darf.
Es lohnt sich für den Verlag, den Autoren, den Zeichner, den Koloristen und ... den Leser.

Habt ihr ähnliche Beobachtungen gemacht oder seid ihr zufrieden mit dem, was euch die Autoren im Allgemeinen bieten?
Welche Verbesserungen wünscht ihr euch? Welche Elemente würdet ihr verbessern? Was fehlt euch in den meisten Comics?
Oder findet ihr, die obigen Forderungen stellen zu hohe Ansprüche? Sind Comics für euch effektiver und besser, wenn sie so simpel wie möglich sind?

Kann man bestimmt viel drüber diskutieren - bin gespannt auf eure Antworten.