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Im Labyrinth der Grossstadt
Endlich entdecken auch die deutschsprachigen Verlage Jiro Taniguchi. Obwohl er weltweit als einer der berühmtesten Manga-Autoren gilt, ist „Die Stadt und das Mächen“ nach der Geschichtensammlung „Der Wanderer im Eis“ erst sein zweites Werk, das auf Deutsch erhältlich ist.
Der Protagonist Shiga ist passionierter Bergsteiger, lebt zurückgezogen in den Bergen und hat Tokio seit Jahren nicht mehr betreten. Als er eines Tages erfährt, dass Megumi, die Tochter eines tragisch verunglückten Freundes, verschwunden ist, begibt er sich auf die Suche nach ihr. Er reist nach Tokio und beginnt, die labyrinthartige Stadt zu durchforsten. Dabei trifft er auf die verschiedensten Personen, die ihm manchmal helfen, ihn manchmal aber auch in die Irre führen. Bald entwickelt sich ein Kriminalfall, der dunkle Geheimnisse zu Tage trägt und in einem furiosen Finale endet.
Die Handlung vollzieht sich jedoch nicht nur auf dieser äusseren, sondern auch auf einer inneren Ebene. So tritt Shiga wieder in engeren Kontakt mit Megumis Mutter Yoriko, eine ehemals sehr vertraute Freundin, und es werden immer mehr Details der Beziehung zwischen Shiga, seinem Freund und Yoriko aufgedeckt. Die Charaktere sind sehr realistisch und tiefgründig angelegt und erhalten im Verlauf der Handlung stetig weitere Facetten. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Rückblenden, die in Form von Erinnerungen Shigas die Vergangenheit der Figuren erhellen. Fast wie nebenbei bringt Taniguchi zwei weitere Themen ein, die einen traurigen Bezug zur Realität herstellen: Prostitution von Teenagern und Pädophilie. Dadurch hebt er sich positiv von der Masse an Manga ab, in denen kleine Schulmädchen als Lustobjekte dargestellt werden.
Taniguchis Zeichnungen werden vor allem durch klare Linien bestimmt, die viel Ruhe ausstrahlen, mit denen er seinen Figuren aber auch zu einer ausgeprägten und dennoch realistischen Mimik verhilft. Besonders eindrücklich stellt er die Wirkung der Stadt auf Shiga dar: Die weichen Linien und leeren Bilder der Bergwelt stehen in krassem Kontrast zur überfüllten Grossstadt mit ihren harten und eckigen Formen. Die Verbindung beider Welten findet Shiga letztendlich im Wind, der sowohl durch die Berge als auch durch die Wolkenkratzer heult und für ihn zu einem Symbol der Freiheit wird. Überhaupt verwendet Taniguchi eine ausgeprägte Bildsprache, die oft sogar ganz ohne Text auskommt. Dadurch entsteht eine Intensität, die einen von Anfang an in ihren Bann zieht. In Verbindung mit der ständig an Spannung gewinnenden Handlung und der melancholischen Grundstimmung bringt sie einen dazu, das Buch nicht mehr aus der Hand legen zu wollen. Auch für Nicht-Manga-Fans dürfte „Die Stadt und das Mädchen“ ein faszinierendes Werk sein.